Interview: Tomas Niederberghaus
Gestern war er in London, morgen wird er nach Australien reisen. Heute betritt er zielstrebig die Hotellobby, grüßt mit kräftigem Händedruck, setzt sich und bestellt Cappuccino und Wasser. Er trägt eine modische, schmal geschnittene Chino, Turnschuhe und über dem T-Shirt ein blaues Baumwolljackett. Und einen Bart. Natürlich einen Bart. Darüber eine Brille, die von Tom Ford sein könnte. Tyler Brûlé, 47 Jahre alt, hat seine Karriere als Journalist begonnen. Er hat die Designzeitschrift «Wallpaper» erfunden, inzwischen eine weltbekannte Marke, und im Frühjahr das Magazin «Z» der «NZZ» gestaltet. Sein eigenes Magazin «Monocle» mit Sitz in London beschäftigt sich mit Politik, Wirtschaft, Kultur und Design und hat Leser auf der ganzen Welt. Unter dem Label betreibt er inzwischen Läden und Cafés in London, New York und Sydney, verkauft Fanartikel sowie Designerstücke und gibt Travel-Guides heraus. Der Entrepreneur liebt Hotels und ist so etwas wie ein Global Nomad – er fliegt jährlich vierzehn Mal nach Japan, macht etwa sieben weitere Asientrips, besucht drei Mal die USA und ein bisschen Kanada. Zwischendurch pendelt er zwischen London und St. Moritz, wo er eine Wohnung besitzt – und wo er sich, wie er im Gespräch mit dem Giardino-Magazin sagt, ganz zu Hause fühlt.
Herr Brûlé, Sie reisen in schwindelerregendem Tempo zu fast jedem Flecken des Globus. Können Sie das Reisen noch genießen?
Tyler Brûlé: Es ist meistens ein Vergnügen. Und vor allem eine Gelegenheit. Es treibt mein Unternehmen voran. Wir haben sieben Büros in aller Welt, 90 Prozent unseres Business finden außerhalb von London statt. Unsere Expertise ist es, die Welt zu sehen.
Wachen Sie manchmal in einem Hotel auf und wissen nicht, wo Sie sind?
Tyler Brûlé: Es passiert nicht dauernd, vielleicht ein bis zwei Mal im Jahr. Das letzte Mal liegt noch nicht lange zurück. Ich kam aus Tokio, wollte nach München und hatte einen Stopp im Ritz in Lissabon. Am Morgen wachte ich mit der Frage auf: Wo bin ich? Normalerweise übernachte ich immer in denselben Hotels, das Ritz lag außerhalb meines normalen Reisemusters, und so fragte ich mich: Erkenne ich diese Lampe wieder? Wo ist die Tür? Ein irritierendes Erlebnis. Es dauert einige Sekunden, bis man realisiert, wo man ist.
Was tun Sie als Erstes, wenn Sie in ein Hotelzimmer kommen?
Tyler Brûlé: Ich versuche, die Person, die mich in mein Zimmer bringt, so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Denn eigentlich will man doch zuerst nur pinkeln. Und ich verstehe nicht, warum man in Hotels, in denen man regelmäßig zu Gast ist, jedes Mal dieselbe Prozedur hinter sich bringen muss: hinsetzen, Anmeldung unterzeichnen.
Tyler Brûlé ist dafür bekannt, die Dinge beim Namen zu nennen. Wer seine Kolumne Fast Lane in der «Financial Times» und auf Spiegel Online verfolgt hat, der weiß, dass er die Dinge des Lebens meinungsfroh kommentiert. Zum Service der Airlines schrieb er beispielsweise: «Die europäischen Luftfahrtunternehmen gleichen einem Trümmerhaufen. Wenn ich Geschäftsführer dieser Airlines sehe, frage ich mich: Wann haben sie zuletzt die Angebote ihrer Mitbewerber getestet? Wen bewundern sie in der Serviceindustrie? Fliegen sie eigentlich gerne?»
Tyler Brûlé greift zur Kaffeetasse, für Bruchteile von Sekunden kreisen seine Blicke durch die Lobby – ein junges Paar mit einem Paris-Hilton-Hund checkt gerade aus. Ein guter Moment, um auf das Hotelleben zurückzukommen.
Nehmen wir an, Sie wären Hoteltester. Worauf würden Sie besonders achten?
Tyler Brûlé: Es geht immer um die ersten und die letzten Eindrücke, den Moment der Ankunft und der Abreise. Es können die ersten Eindrücke sein, die den Ton angeben, aber es kann auch geschehen, dass man einen wundervollen Aufenthalt hatte und alles in den letzten fünf Minuten den Bach runtergeht. Alle reden über das «Erlebnis der Ankunft», aber das «Erlebnis der Abreise» ist ebenso wichtig.
Was macht ein perfektes Hotel aus?
Tyler Brûlé: Ein perfektes Hotel zeigt sich in der Abwesenheit von Quatsch. Ich persönlich brauche kein Fitnessstudio, wenn ich um den See joggen kann. Wichtig ist, dass ein Hotel die Basics hinkriegt, alles andere ist Zusatz. Frische Luft im Zimmer ist wichtig, keine recycelte Luft, und das Bett muss stimmen. Es sollte Federkissen haben, keine aus Schaumstoff. Das Badezimmer muss funktionieren – ich brauche keinen großen Raum. Mit Waschbecken, Toilette und einer guten Dusche bin ich zufrieden. Meine Kriterien sind elementar, aber man wundert sich, wie viele Hotels die Basics nicht hinkriegen.
Mich wundert, dass Sie nicht vom Service sprechen.
Tyler Brûlé: Ich schätze guten Service. Wenn der Service nicht stimmt, kann man sich wehren, bei den anderen Dingen ist man jedoch machtlos.
Gibt es einen Ort, an dem Sie sich zu Hause fühlen?
Tyler Brûlé: Am meisten fühle ich mich in meinem Apartment in St. Moritz zu Hause. Da kann ich die Tür zumachen, ich habe alles, was ich brauche, ich fühle mich mit der Welt verbunden, aber auch abgeschnitten, sicher.
Wie viel Zeit verbringen Sie hier?
Tyler Brûlé: In der Weihnachtszeit sind es so vier bis fünf Wochen, um Ostern wieder eine längere Zeit – also auf das Jahr verteilt etwa zwei bis drei Monate.
Was macht St. Moritz und das Engadin so reizvoll?
Tyler Brûlé: Es ist die Kombination aus zentraler Lage und Abgeschiedenheit. Das Tal ist einmalig und nicht leicht zugänglich. Keine Autobahn führt direkt dorthin. Es ist eine Reise, und das Interessante an dieser Reise ist, dass sie auch Teil eines Erlebnisses ist. Man muss Hürden überwinden, das allein verleiht dem Ort schon einen gewissen Luxus, der zur Abgeschiedenheit gehört. Trotzdem ist man schnell in einer größeren Stadt wie Mailand.
In Artikeln gehen Sie mit der Schweiz immer mal wieder ins Gericht. Was missfällt Ihnen denn?
Tyler Brûlé: Die Schweiz leidet unter den gleichen Problemen wie Japan: Man liebt das Renovieren. Das steckt in deren Genen, und ich finde, dass man manche Plätze und Häuser nicht anrühren sollte. Man sollte sie restaurieren, und vielleicht brauchen sie ein Update, aber im Großen und Ganzen sind sie in Ordnung. Es ist wie mit der Sofafrage: Brauche ich ein neues, oder reicht es nicht doch, das alte Sofa neu zu beziehen? St. Moritz hat nur noch wenig Authentisches. Was kann man dort kaufen? Es gibt Schnickschnack wie Taschentücher mit der Sonne und der Schweizer Flagge drauf. Aber es braucht mehr von dem, was die Region hervorbringt und auszeichnet.
In Ihrer Zeitschrift «Monocle» empfehlen Sie auch Hotels. Haben Sie dabei die gleichen Kriterien?
Tyler Brûlé: Absolut. Zu unserer Leserschaft gehören junge Banker aus London, die das Magazin aus einem Grund mögen: Sie wollen in interessanten, flotten Hotels wohnen. Das Gleiche gilt für unsere Travel-Guides. Mit ihnen versuchen wir, Leute für smarte, gut designte Häuser zu begeistern, andere Leser wiederum für die großen Klassiker, und dazu darf auch das leicht Staubige gehören.
Tyler Brûlé schaut auf die Uhr. Die Interviewzeit ist beendet. Der nächste Gesprächspartner wartet schon.
Tyler Brûlé wurde in Winnipeg (Kanada) als einziges Kind des Footballspielers Paul Brûlé und der Künstlerin Virge Brûlé geborgen. Er besuchte die Journalistenschule und kam 1989 nach England, wo er zuerst für die BBC arbeitete. Er schrieb für «The Guardian», «Elle», den «Stern» und «The Sunday Times». Während einer Reportage in Afghanistan wurde er 1994 angeschossen und an der Hand verletzt.
In der Rekonvaleszenz kreierte er das Magazin «Wallpaper», das er 19 96 auf den Markt brachte. Seither ist der 47-Jährige ein gefragter Gastredner zum Thema Medien und Design. Die Zeitung «Die Welt» bezeichnete ihn einmal als «Experten für lebensverbessernde Maßnahmen». Privat lebt Tyler Brûlé mit dem gebürtigen Schweden und Gründer des Londoner Herrenausstatters Trunk Clothiers, Mats Klingberg, zusammen.
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