von Tomas Niederberghaus
Bislang war es ja so: Jährlich zogen Hunderte Millionen Menschen um den Globus, um Erfahrungen zu machen, um eine andere Welt und vielleicht auch eine andere Seite von sich selbst kennenzulernen oder um – wie es Hans Magnus Enzensberger in seiner Theorie des Tourismus einmal gesagt hat – eine vergebliche Flucht aus den Zwängen der Gesellschaft anzutreten. Orteaufzusuchen, wo keine Rechnungen ankommen und keine Scherben einer in die Brüche gegangenen Beziehung herumliegen. Es ist gut möglich, dass diese wochenlange Ausgangsbeschränkung viele Scherben hinterlassen wird. Umso grösser ist die Sehnsucht, endlich wieder rauszukommen. Wohin jedoch wird die Reise gehen? Was sind die Hotels der Stunde? Haben Kreuzfahrtschiffe ausgedient? Und wie werden wir uns fortbewegen?
Diese erste Reise wird eine besondere sein. Und sie wird Bilder hervorrufen, die an die Anfänge des Tourismus erinnern. Das Auto wird das Fortbewegungsmittel der Stunde. Es profitiert von einem Aktionsradius, der vorläufig nur das eigene Land und unsere Nachbarn vorsehen wird: Hamburg–Engadin, Zürich–Toskana, München–Arles, Bern–Cannes, das sind seine Ausmasse. Vorbei sind die Zeiten, in denen Billigflieger und Kreuzfahrtschiffe die Massen ausspuckten, für die historische Brücken, pittoreske Türme und schmucke Altstadtgassen ohnehin nicht mehr sind als Kulissen für Selfies.
Blüten des overtourism
Möglicherweise schafft Corona etwas, was «Fridays for Future» nicht möglich war: dem Reisen eine Nachhaltigkeit zu geben. Einmal im Jahr richtig loszufahren. Statt immer weiter, immer schneller, immer kürzer. Es geht nicht um das Ende des Reisens, denn das ist für liberale Gesellschaften systemrelevant. Es geht um Identitäten, um Orte, an denen Empfindungen und Erlebnisse geteilt werden. Denn der overtourism hat fürchterliche Blüten getrieben. Er hat aus Schusterläden Hipster-Bars gemacht und mit Portalen für Ferienwohnungen Einheimische aus ihren Städten verdrängt. Und er hat sich mit einem Ziel wie Ischgl selbst eine Falle gestellt. Das gilt auch für Kreuzfahrtschiffe: Sie sind nicht nur die grössten Umweltverschmutzungsmaschinen im Tourismus, sondern werden als schipperndes Gefängnis für Corona-Infizierte in Erinnerung bleiben, gleichsam. Und waren nicht sie es, unter denen Städte wie Venedig, Barcelona oder Palma seit Jahren gelitten haben?
Wochenlang zu Hause – da hat man für die Kinder viel Zeit, vielleicht viel zu viel, da fällt einem die Decke auf den Kopf. Ein Tag folgt dem anderen zur Selbstfindung mit Kochkünsten und Backorgien. Statt Millionen von Touristen gehen inzwischen ja Millionen von Bildern mit Rezepten, fertigen Broten und schnellen Aufläufen um die Welt. Doch die Ambitionen machen müde, und die Selbstbedienung am Kühlschrankund die Selbstversorgung am Herd haben bald alle satt. Jetzt heisst es: Endlich wieder bedient werden. Und bloss nicht mit Sack und Pack in ein Ferienhaus, schon gar nicht in eine Ferienwohnung. Es ist die Zeit der hohen Hallen, die hohes Denken ermöglichen, der Hotellobbys mit breiten Sesseln, in denen Elefanten Platz nehmen könnten. Die Zeit ruft nach Gesellschaft und Geselligkeit, und wo geht das besser als in einem Hotel? Wer mit originellen und sinnstiftenden Erlebnissen auf sich aufmerksam macht, macht alles richtig. Schon vor Corona hat halb Berlin das Töpfern für sich entdeckt, ja, man könnte fast glauben, Berlin habe das Töpfern erfunden. Das sind jetzt die Themen. Kreativ werden. Freiwillig in Klausur gehen. Zeit fürs eigene Ich haben. Raus in die Natur. Bäume umarmen und glücklich dabei sein. Und das möglichst gemeinsam. Es geht um ehrliche Angebote und nicht um Phrasen mit überstrapazierten Begriffen wie «Wellnessoase».
Die Hotels waren die Ersten, die das Virus geschlossen hat. Es sind die Letzten, die wieder geöffnet werden. Mit den Hotels und Corona verhält es sich ein bisschen wie mit den Menschen und Corona. Wer eine Vorerkrankung hat, wird es schwerer haben. Einige Häuser haben bereits ihren Shutdown forever angekündigt. Zahlreiche Insolvenzen werden noch folgen. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Regierungen sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland die Hotellerie in diesen Tagen und Wochen im Stich gelassen haben – obwohl sie mit ihrem Erholungsauftrag eine gesellschaftliche Relevanz besitzt. Nur wenige Hotels können sich mit kreativen Ideen halbwegs aus der Krise retten. Da ist das Hotel, das mit seinen Azubis binnen weniger Stunden ein Drive-in für Food-Abholer auf die Beine stellt – und fürs Warten im Auto Desinfektionstücher und einen Gesundheits-Smoothie anbietet. Andere offerieren Räume für die Flucht aus dem Home-Office. Das Wort «Stundenhotel» hat eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Kein Buffet mehr
In diesen Wochen lohnt es sich, mal wieder Thomas Manns «Zauberberg» zu lesen. Darin stehen nicht nur so hübsche Formulierungen wie die von der Zeit, die im Rückblick «zugleich unnatürlich kurz und unnatürlich lang erschien», sondern auch handfeste Sätze wie: «Strengste Sauberkeit ist eine Grundbedingung.» Deshalb darf man sich im Hotel bei der nächsten Reise auf eines besonders freuen: Es wird kein Buffet mehrgeben. Wer will sich das Birchermüesli mit einem Löffel schöpfen, den schon fünf andere Gäste angefasst haben? Wer will sich an der Käseplatte bedienen, vor der gerade ein Herr mit einem bellenden Husten steht? Stattdessen wird das Frühstück serviert werden. So, wie es einst gang und gäbe war. Endlich wieder Service! Dann ist man zu zweit auch nicht mehr allein am Tisch. Zum Dinner werden sich Gäste für Slots zwischen 18 und 19.30 Uhr oder zwischen 19.30 und 21 Uhr entscheiden. Das gibt es in Restaurants von New York schon seit Jahren. Und um solche Slots wird es auch in den Hotel-Spas gehen. Auch hier wird man versuchen – Verzeihung –, Stosszeiten zu vermeiden und Sicherheitsabstände zu gewährleisten. Alle Mann in die Sauna: Das gibt es vorläufig nicht mehr.
Für heimische Hotels ist die Zeit nach der Ausgangsbeschränkung wie für einzelne Regionen eine grosse Chance. Sich mehr denn je mit Nachhaltigkeitzu positionieren und mehr denn je die lokale Bevölkerung partizipieren zu lassen. Es geht darum, einen verantwortungsvollen touristischen Weg für die Enkel zu bahnen. Denn die finanzielle Erblast der Corona-Krise werden sie noch ausbaden müssen. Sie sind es aber auch, die mit einer Sensibilität für ökologische und soziale Aspekte aufwachsen. Und bis es sie in die Ferne zieht, werden auch die Fluggesellschaften ihre Ziele ausserhalb Europas wiederaufgenommen haben. Realistisch betrachtet, wird das nicht eher sein, als bis ein Impfstoff gefunden ist.
Bis dahin wird man innereuropäisch mit Schutzmasken fliegen. Eine asiatische Fluggesellschaft hat bereits angekündigt, dass für ihre Kabinenbesatzung auf Überseeflügen vorerst nur eine Uniform vorgesehen ist: Masken, Handschuhe, Schutzbrillen und Schutzanzüge. Man kann nur hoffen, dass in den neuen Konzepten auch eine neue Art der Bestuhlung vorgesehen wird. Dann gäbe es aus Sicherheitsaspekten nicht nur grössere Sitzabstände, sondern auch deutlich mehr Beinfreiheit. Das Fliegen war in der Economy ja bereits seit Jahren ein klaustrophobisches Unterfangen. Wie es um die Branche steht, sieht man schon am veränderten Vokabular: Der einst angesehene Beruf der Stewardess ist zu dem einer «Saftschubse» verkommen. Aber vielleicht wird auch das jetzt anders. Nämlich dann, wenn Fliegen endlich wieder teurer wird, und davon ist in Zukunft auszugehen. Denn auch diesem Markt hat Covid-19 die Flügel gestutzt. Wird es die kleinen Airlines mit regionaler Bedeutung noch geben? Werden sie uns noch zu den entlegenen Zielen ihres Landes bringen können?
Sand statt Badetücher
Vielleicht ist es ja tatsächlich vorbei, das «Immer schneller, immer weiter, immer kürzer». Vielleicht sorgt dies für ganz neue Bilder. Vielleicht ist an den Stränden bald wieder Sand zu sehen statt eines Meers aus Badetüchern. Schön wäre es doch.
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Tomas Niederberghaus war viele Jahre Autor und Hotelkritiker der Wochenzeitung Die Zeit. Heute berät er Hotels und touristische Unternehmen.
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